Killt Twitter die Blogs ? Eine Session auf dem BarCamp Hamburg

#bchh08

Bis auf den Flur drängelten sich die Interessenten auf dem BarCamp Hamburg 08, als diese Frage von Jan Tißler gestellt und von den anwesenden sich bekennenden Twitteratis diskutiert wurde: Wie sieht die Zukunft des Bloggens aus ?

Jan Tissler #bchh08 Die Zukunft des Bloggens

Zwei Trends scheinen da zusammen zu fallen: Viele der “Alpha-Blogger” haben aktiv zum Erfolg des Micro-Bloggings beigetragen – und plötzlich erledigen sich viele Themen für das eigene Blog, “weil es schon getwittert wurde”.

Gleichzeitig gibt es auf der Seite der Blog-Rezipienten deutliche Ermüdungserscheinungen: Es gibt so viele “relevante” Blogs dass es ohne die Hilfe von Feedreadern oder Aggregatoren wie Netvibes überhaupt nicht mehr möglich ist, einen Überblick zu gewinnen und zu behalten. PaulinePauline outete sich damit, ca. 200 Feeds gepeichert zu haben, von denen sie ganze fünf (!) regelmäßig liest. Der Rest dient als sehr guter Pool, um im Falle des Recherche-Falles nicht über Technorati im Irgendwo suchen zu müssen.

Neue Themen in Blogs werden also nur noch von Fall zu Fall, wenn der Teaser die momentanen Leselüste und Bedürfnisse anspricht, aufgesucht. Konsequenter Weise wird in den einzelnen Blogs weniger kommentiert – auch wenn sich in Gruppen-Blogs wie Spreeblick zeitweise sämtliche Kommentatoren der Sphäre zu tummeln scheinen.

Gleichzeitig ist aber ein dem genau entgegenlaufender Trend zu beobachten:

Menschen, die über das niedrigschwellige Twittern zum Bloggen kommen.
Diejenigen, denen
140 Zeichen dann doch irgendwann zu wenig sind.
Aber Blut geleckt haben.

Genau, ich spreche von mir.
Aber auch von Lakritze und anderen Twitternden, von denen ich weiß, dass sie mit dem Bloggen mehr als liebäugeln. Jenseits jeder Relevanz und Reichweite – keine Frage – aber mit Spaß, Hingabe und Interesse an der Sache.

Wir gehören zu der Species der assimilierten Digital-Immigrants, die sich in den Communities das notwendige Grundwissen (Kommentieren und Umgang mit Kommentaren, Bilder in Beiträge einfügen, Links setzen, rudimentäres http) angeeignet haben und sich jetzt aus dem sicheren Schoß der Community in die große weite Internetzwelt hinaus wagen. Gleichzeitig ist den Neubloggenden eine gewisse Anzahl von Kommentierenden gesichert, den den Sprung aus der Community zumindest dafür wagen und die ersten Schritte außerhalb begleiten.

Auch wenn das damit zu tun haben könnte, dass die Ursprungs-Community ihre Mitglieder durch nicht immer glückliches CommunityManagement so vor den Kopf gestoßen hat, dass sich einzelne Mitglieder teilweise ganz dort verabschieden (siehe in meiner Blogroll: Exil-Qyper). Da einzelne dieser Blogs bei Technorati inzwischen ein für ihre Jugendlichkeit ganz ausgezeichnetes Ranking genießen, schließe ich aber auch einfach mal, dass das Bloggen mit seinen größeren Freiräumen in diesen Fällen die richtige Entscheidung war.

Spannend in diesem Zusammenhang sind auch die Blogs, die in Medien-Communities angeboten werden, wie sie von Juliette Guttmann von DER WESTEN kürzlich genannt wurden. Ein hoher Anteil von Silver-Surfern würde sich dort einrichten und aktiv werden.

Sven & Katzencontent Foto LironTocker

Das insgesamt kein bisschen vom Blog-Sterben die Rede sein kann, belegen auch die durchaus erfolgreichen NischenBlogs: Svens brillante Katzencontent-Session sollte die letzten Zweifler überzeugt haben ;)

Es ist also nicht völlig abwegig, zu behaupten, dass sich das gefühlte Blogsterben vor allem auf “Szene-relevante”- Blogs bezieht. Und vermutlich nicht alleine durch Twitter verursacht wurde, sondern diese Form des Micro-Bloggings eher eine beschleunigende Katalysatorfunktion einnimmt.

PS: Da aus der Twitter-Szene einige Menschen anwesend waren, die hunderte Follower ihr eigen nennen ;), wurden in der lebhaften Session so einige drängende Fragen der “normalen” Twitter mit beantwortet. Natürlich liest keiner von den Viel-Verfolgten und Viel-Folgenden seine Twitter-Feeds in ganzer Ausführlichkeit. Twitter wird dort eher über @Replies wahrgenommen oder als Crowdsourcing-Tool eingesetzt. Bei Applications wie TweetDeck lässt sich über die Auswahl von Followern, deren Tweets man tatsächlich nicht verpassen will, über die Auswahl von selbst zusammengestellten “Gruppen” für diesen Zweck wunderbar steuern. Wenn sich dort eingebunden noch ein Hashtag– oder Suchwort-Feed einbinden lassen würde, wäre es perfekt.

Update 1. Januar 2009: Jan Tißler resümiert „Blogs sind nicht tot, Twitter ist nicht sinnlos und Lifestreams sind nicht kalt und leblos.“ Danke ! Habe ich eben über Twitter erfahren ;)

10 Antworten zu “Killt Twitter die Blogs ? Eine Session auf dem BarCamp Hamburg

  1. Pingback: Auswanderung « normalverteilt

  2. Pingback: antischokke » Qualitätsoffensive am BarCamp-Sonntag

  3. @Kixka: Glückwunsch! Dieser Beitrag hat es unter die heutigen Top Posts“ von WordPress geschafft (Platz 70).

  4. Pingback: Zwischendurch@Thorsten Boersma

  5. Toller Beitrag.

    Nur beim letzten Absatz muss ich widersprechen. Auch mit 500 Gefollowten kann man seine Timeline voll verfolgen. Allerdings nicht immer, aber wenn ich unterwegs bin kommt es oft vor, dass ich die etwa 250 Tweets pro Stunde lese.

  6. danke für den gesetzten (hashtag-)link. allerdings führt dieser nicht mehr zum ziel, sobald ich einen blogeintrag mit dem schlagwort „www“ schreibe. eine änderung zu http://www.schorleblog.de/index.php/2008/11/06/warum-eine-raute/ wäre hier hilfreich.

    *Danke für den Hinweis: Ist geändert von Kixka

  7. vom kontollfreak zum kontrollverlust oder -> immer-und-überall-dabeisein-wollen ist vermutlich das zentrale argument zu twittern. irgendwie ist das ziemlich neurotisch, du kannst nicht genug kriegen, brauchst mehr informationen, was treibt mein follower gerade, welchen originellen tweet hat er sich nur jetzt wieder ausgedacht – twitter ist der perfekte drogenersatz, einige club mate dazu und du machst party, bist voll dabei und musst doch nicht vor die tür – world of warcraft für info-controll-junkies. was aber mache ich damit? wofür brauch ich das? was interessiert es mich, ob lars hinrichs XING verläßt oder die WELT majdanek irrtümlich als polnisches KZ bezeichnet?
    rund um die uhr im geschehen sein und doch nicht wirklich – geiler trip +/~

  8. @lokalreporter Auf den einen wirkt es neurotisch, für den anderen ist es eine professionelle Bereicherung. Twitter ist für Journalisten u. a. als Rechercheinstrument hilfreich.

  9. @pjebsen – ach ne, wasde nich sagst..

  10. Pingback: Blogpiloten.de » Das Jahr der 140 Zeichen

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